Akutes Nierenversagen


Ein akutes Nierenversagen – auch akute Niereninsuffizienz genannt – zeichnet sich durch den plötzlichen Verlust der Nierenfunktion aus – meistens innerhalb weniger Tage. Zunächst bleibt ein akutes Nierenversagen symptomlos. In einem späteren Stadium kommt es zu einer verminderten Urinausscheidung, Bluthochdruck, Wassereinlagerungen und Luftnot. Trotz dieser meist geringen Beschwerden sollte diese ernste Erkrankung nicht unterschätzt werden.

Definition: Was ist akutes Nierenversagen?

Die Nieren sind eines der kleinsten Organe des Körpers. Gleichzeitig sind sie aber sowohl in Ruhe, als auch unter körperlicher Belastung die Organe mit der höchsten Durchblutung. Die Nieren haben eine Vielzahl von Aufgaben im menschlichen Organismus (Grafik 1). Die Bedeutung der Nieren wird dabei von Ärzten und Patienten zumeist unterschätzt.

Aufgaben der Nieren im menschlichen Organismus
Grafik 1: Aufgaben der Nieren im menschlichen Organismus

Ein akutes Nierenversagen kann bei bester Nierengesundheit (akut) oder bei bereits bekannter Nierenerkrankung (akut auf chronisch) treffen. Im Gegensatz zum chronischen Nierenversagen ist das akute Nierenversagen dabei durch den plötzlichen Verlust der Nierenfunktion gekennzeichnet. Meist tritt diese Nierenfunktionsverschlechterung im Gegensatz zur chronischen Nierenerkrankung innerhalb weniger Tage ein.

Wie häufig tritt akutes Nierenversagen auf?

Die Häufigkeit der akuten Niereninsuffizienz ist schon seit 7 Jahren im Zunehmen begriffen. Dies gilt sowohl für die im Krankenhaus erworbenen Formen, die die weitaus größte Gruppe ausmachen, als auch für ambulant erworbene Fälle. Das akute Nierenversagen bzw. das akut auf chronische Nierenversagen ist in den USA mittlerweile mit die häufigste Ursache für eine Langzeitdialyse geworden.

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Was sind die Ursachen für akutes Nierenversagen?

Die Ursachen sind vielfältig. Bewährt hat sich eine Einteilung in

  • prärenales akutes Nierenversagen,
  • renales akutes Nierenversagen
  • und postrenales akutes Nierenversagen.

So kann jede schwere Organerkrankung oder jede Durchblutungsstörung der Niere zum Nierenversagen führen. Am häufigsten ist der Blutverlust, die Austrocknung und der Schock. Ähnlich kann eine schwere Herz- oder Lebererkrankung zum Nierenversagen führen.

Eine weitere häufige Ursache eines akuten Nierenversagens sind vorangegangene Kontrastmitteluntersuchungen. Die Dunkelziffer der Patienten mit Niereninsuffizienz nach Herzkatheteruntersuchung ist hoch, da der Kreatininanstieg erst 24 bis 48 Stunden nach der Kontrastmittelgabe erfolgt und die Patienten dann bereits wieder entlassen sind. Zirka 1 Prozent der Patienten benötigen nach dem Herzkatheter trotz vorher gesunder Niere eine Dialysebehandlung. Durch das Nierenversagen steigt die Krankenhausmortalität der Herzpatienten von 1 Prozent auf 36 Prozent an. 13 bis 50 Prozent der Patienten, die eine Dialyse nach Kontrastmittelgabe benötigen, bleiben permanent dialysepflichtig.

Neben Schmerz-, Blutdruck- und Wassermedikamenten können auch Erkrankungen wie Nierenembolien, Cholesterinembolien, Plasmozytom, Muskelzerfall oder Verlegung der ableitenden Harnwege (Harnleiter, Harnblase, Harnröhre) eine Niereninsuffizienz verursachen.

Welche Symptome treten bei akutem Nierenversagen auf?

Ein akutes Nierenversagen präsentiert sich zunächst ohne Symptome und wird deshalb von Arzt und Patient nicht bemerkt. Die Harnausscheidung bleibt oft erhalten. Erst wenn die Niere zu 90 Prozent ihre Funktion eingestellt hat, tritt eine verminderte Urinausscheidung auf. Dann treten Bluthochdruck, Wassereinlagerungen und Luftnot auf. Die früher immer tödlich ausgegangene Nierenvergiftung zeigt sich in unspezifischen Symptomen wie

  • Rückgang der Leistungsfähigkeit,
  • Appetitlosigkeit,
  • Übelkeit und Erbrechen,
  • Gefühlsstörungen,
  • Herzrhythmusstörungen,
  • Verwirrtheit
  • und Krämpfen.

Im Anfangsstadium kann ein akutes Nierenversagen nur durch den Arzt durch eine Messung der Nierenfunktion erkannt werden. Dazu wird im Blut das Serum-Kreatinin gemessen, welches dann mit einer Formel in die Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate GFR) umgerechnet wird (Grafik 2). Dies ist notwendig, da das Serum-Kreatinin nicht nur ein Maß für die Nierenfunktion ist, sondern auch beeinflusst wird von Geschlecht, Alter, Muskelmasse, Nahrungszufuhr und Trinkmenge.

Es gibt auch dann nicht die aktuelle Nierensituation wieder, wenn bei einer akuten Schädigung das Kreatinin nicht die Zeit hatte, im Körper zu akkumulieren. In dieser Situation wird das Serum-Kreatinin noch niedrig gemessen, obwohl die aktuelle Nierenfunktion bereits deutlich reduziert ist. Auch an der Dialyse kann die Nierenfunktion nicht mehr durch das Bestimmen des Serum-Kreatinins ermittelt werden, da Kreatinin bei der Dialyse entfernt wird. In dieser Situation wird das Serum-Kreatinin niedrig gemessen, obwohl eine ausreichende Nierenfunktion immer noch nicht gewährleistet ist.

Zusammenhang zwischen Kreatin und Nierenfunktion
Grafik 2: Am häufigsten kann die Nierenfunktion mit Hilfe des im Blut gemessenen Kreatinins errechnet werden. Zwischen Kreatinin und Nierenfunktion besteht ein quadratischer Zusammenhang. Deshalb können bereits kleine Anstiege des Seren-Kreatinins (z.B. 0,3 mg/dl) zu einem großen Verlust der Nierenfunktion beitragen (z.B. 50 %).

Stadien des akuten Nierenversagens

Das akute Nierenversagen wird in Stadien eingeteilt (Grafik 3).

Akutes Nierenversagen - Stadien
Grafik 3: Einteilung der Stadien bei akutem Nierenversagen.

Wie wird akutes Nierenversagen diagnostiziert?

Zur Diagnostik muss neben der Blutabnahme eine Urinuntersuchung und eine Ultraschalluntersuchung der Nieren durchgeführt werden. Die Sonographie dient dabei zum Ausschluss eines chronischen oder eines postrenalen Nierenversagens. Mit der Duplexuntersuchung der Nieren kann in seltenen Fällen eine Durchblutungsstörung gesichert werden. Die Computertomographie ermöglicht die Diagnose einer Nierenarterienembolie. Lässt sich damit die Ursache des akuten Nierenversagens nicht klären, muss eine Nierenbiopsie erfolgen. Idealerweise wird dies am Aufnahmetag durchgeführt.

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Wie wird akutes Nierenversagen behandelt?

Die Therapie der akuten Niereninsuffizienz beinhaltet eine Reihe von Maßnahmen wie:

  • Korrektur reversibler prä- und postrenaler Ursachen
  • Beibehaltung der Flüssigkeits- und Elektrolytbalance
  • Vermeiden weiterer Nierengifte
  • Eine der Nierenfunktion angepasste Medikamentendosierung
  • Dialyse

Kurzfristig droht die größte Gefahr durch zu hohe Kaliumwerte, da diese zum Herzstillstand führen können.. Deshalb müssen diätetische Maßnahmen ergriffen werden, um die Kaliumzufuhr (Obstsäfte und Obst) zu stoppen. Kaliumhaltige Medikamente oder kaliumsparende, wassertreibende Harnmittel müssen vermieden werden. Gegebenenfalls muss ein Kaliumbinder eingesetzt werden.

Die nächste Gefahr ist die Überwässerung, da diese zur Luftnot führt. Da aber auch eine Unterwässerung zur weiteren Schädigung der Nieren führt, muss die Kochsalz- und Flüssigkeitszufuhr bilanziert erfolgen. Das Ausmaß der Flüssigkeitszufuhr richtet sich nach der Urinmenge und den nicht sichtbaren Flüssigkeitsverlusten über die Haut.

Bei Nierenschwäche müssen alle wasserlöslichen und über die Niere ausgeschiedenen Medikamente niedriger dosiert werden. Erfolgt dies nicht, reichern sich diese im Blut an und bewirken Nebenwirkungen und Vergiftungen. Üblicherweise wird im Rahmen des akuten Nierenversagens zudem der ACE-Hemmer, der AT1-Blocker und nichtsteroidale Antiphlogistica (Schmerzmittel) abgesetzt, da sie zur Unterhaltung und zur weiteren Verschlechterung der Niereninsuffizienz beitragen. Kontrastmitteluntersuchungen müssen zwingend vermieden werden.

Bei kritischem Anstieg der Nierengifte muss eine Nierenersatztherapie durchgeführt werden. Zumeist erfolgt dies mittels einer Hämodialyse. Bei akutem Nierenversagen bringt eine frühe Dialyseeinleitung (Harnstoff 150 mg/dl) und eine intensivere Dialyse (tägliche Dialyse) signifikante Überlebensvorteile.

Hämodialyse-Maschine
Dialyseplatz für die Hämodialyse

Lebenserwartung und Heilungschancen bei akutem Nierenversagen

Akutes Nierenversagen ist eine ernste Erkrankung, die von Patienten und Ärzten aufgrund der zumeist geringen Beschwerden eindeutig unterschätzt wird. Während vor Einführung der Dialyse noch im Jahr 1960 die Sterblichkeit bei nahezu 100 Prozent lag, liegt sie heute beim Intensivpatienten mit akuter Niereninsuffizienz bei 40 bis 70 Prozent. Meist erholt sich die Nierenfunktion innerhalb von 1 bis 3 Wochen.

Kurzzeit-Prognose:

Deshalb glaubten Mediziner bis vor wenigen Jahren, dass, wenn der Patient das Nierenversagen überlebt und die Nierenfunktion sich wieder erholt hat, alles wieder so ist wie vorher. Inzwischen ist aber durch verschiedene Studien belegt, dass die Prognose nach einem Nierenversagen keineswegs so gut ist wie zunächst angenommen. Patienten, die im Rahmen des akuten Nierenversagens eine Dialyse benötigt hatten, haben in den folgenden 10 Jahren ein 28-fach erhöhtes Risiko eine chronische Niereninsuffizienz mit chronischer Dialysepflichtigkeit zu entwickeln.

Langzeit-Prognose:

Ein akutes Nierenversagen hat aber nicht nur Folgen für die Niere selbst, sondern führt auch trotz Erholung der Niere später im weiteren Verlauf zu einer erhöhten Sterblichkeit. Es scheint so, dass die Niere das aufgetretene akute Nierenversagen im Gedächtnis behält. Nachher ist nichts mehr so wie vorher, auch wenn das Kreatinin jetzt einen Normwert suggeriert.

Die Betreuung des Patienten mit akuter Niereninsuffizienz bedarf des Spezialisten. Es gibt Untersuchungen, die nachweisen, dass, je früher der Nephrologe gerufen wird, desto weniger entsteht eine akute Niereninsuffizienz. Und wenn es dennoch zum Nierenversagen gekommen ist, sind die Schweregrade nicht so ausgeprägt und die Sterblichkeit geringer.

Autor:
Prof. Dr. med. Wolfgang Grotz